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Späte Rache

Autor:
Dr. Walter Kiefl
Verlag:
Mentalibre; München
Erscheinungsjahr:
2018
Sonstiges:

ISBN 978-3-940223-37-1
300 Seiten
15,00 Euro

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Oder direkt beim Autor.
Leseprobe
Prolog

Heinrichstadt (Niedersachsen);
Freitag, 19. Januar 1979; ca 16.00 Uhr

Katharina W. hatte keine Chance, als der 15jährige Kurt H. vom Dach des Schuppens sprang und die junge Frau zu Boden riss. Bevor sie die Situation überhaupt erfassen konnte, prügelte der gleichaltrige Stefan B. mit einer Latte auf das Opfer ein, während sie Kurt H. würgte. Helmut S., der dritte im Bunde, stand zunächst wie versteinert da. Als ihm Kurt aber zu­schrie: „Los, halt sie fest, sonst entkommt sie uns noch!“, griff er nach einem herumliegenden morschen Pfosten und schlug ihr mit aller Gewalt so lange auf den Schädel, bis ihr Widerstand endgültig gebrochen war und sie nur noch röchelte. Während Stefan sie zur Sicherheit weiter auf den Boden drückte und sich Kurt daranmachte, der im Todeskampf zuckende Stiefel und Jeans auszuziehen, um sie zu vergewaltigen, stand Helmut Schmiere. „Mach schon!“, schrie Stefan „ich will auch noch.“ „Probier doch du!“, antwortete Kurt. „Ich krieg die verdammten Dinger nicht runter!“ Sie wechselten ihre Plätze. „Haut ab! Da kommt ein Auto!“, rief Helmut plötzlich. Augenblicklich ließen die beiden anderen von ihrem Opfer ab, schlichen sich zur Rückwand des Schuppens und liefen dann so schnell sie konnten zum Waldrand. Dass sie dabei Spuren im Schnee hinterließen kümmerte sie in diesem Augenblick nicht.

Zwanzig Jahre später

Bremen,
Mittwoch, 26. Oktober 1999; 14.00 Uhr;

Obwohl Allerheiligen bevorstand, war es am frühen Nachmittag noch ziemlich warm. Die beiden Frauen im Park der psychiatrischen Klinik sprachen kaum. Die jüngere von ihnen, eine auffallende dunkelhaarige Schönheit, hielt die Hand der Älteren, die seit langem nur auf das zum großen Teil bereits entlaubte Geäst der großen Bäume blickte.
„Sicher sieht sie wieder auf uns herunter. Aber warum spricht sie nicht mit uns?“, brach sie das Schweigen.
„Vielleicht versucht sie es, aber wir können sie nur nicht hören“, antwortete die Jüngere, worauf die Ältere seufzte.
„Ob sie weiß, wie es uns geht?“
„Sicher!“
„Bald werde ich bei ihr sein!“
„Aber Mama! Du bist körperlich gesund. Die Ärzte sind sehr zufrieden mit dir. Und wenn du dich genug bewegst, dich an die Diät hältst und regelmäßig deine Medikamente nimmst, hast du noch viele Jahre vor dir.“
„Aber für was? Mein Leben hat doch keinen Sinn mehr. Ich möchte endlich sterben. Dann bin ich wieder bei ihr.“
Obwohl Dorothea das schon so oft gehört hatte und sie den Schmerz ihrer Mutter verstand, tat es immer noch weh. Schon als Kind hatte sie bei ihr nie so viel wie ihre ältere Schwester gegolten. Seit deren Tod fühlte sie sich aber noch unwichtiger. Dabei war sie keineswegs eifersüchtig, war der Verlust von Katharina doch auch für sie das weitaus Schlimmste, das sie bisher erlebt hatte. Aber ihre Mutter konnte nicht anders und sie durfte sie nicht mit normalen Maßstäben messen. Die introvertierte Frau, die sich im Leben immer schwer getan hatte, war durch das schreckliche Ereignis vor zwanzig Jahren völlig aus der Bahn geworfen worden. Damals war sie erschöpft von der Arbeit nach Hause gekommen. Im Unterschied zu sonst war die Haustür verschlossen. Zuerst dachte sie, dass sich ihre älteste Tochter Katharina verspätet hatte – was höchst selten vorkam. Als sie nach draußen ging, um nach der Katze zu sehen, sah sie Fußspuren, die hinter das Haus zum Schuppen führten. Unruhe und Angst ergriffen augenblicklich von ihr Besitz – und dann sah sie Katharina regungslos im Schnee liegen – halbnackt und aus vielen Wunden blutend. Johanna Weidner schrie so laut auf, dass ein zufällig vorbeikommender Lastwagenfahrer anhielt und versuchte, der im Sterben liegenden jungen Frau zu helfen und durch lautes Hupen die Nachbarn zu alarmieren, die dann das Rote Kreuz und die Polizei anriefen. Die 24jährige Katharina Weidner starb noch am Tat­ort, ihre ohnmächtige Mutter wurde ins nächste Krankenhaus eingeliefert und die dreizehnjährige Schwester, die wenig später vom Sportunterricht heimkam, wurde in Ermangelung geeigneter Betreuungspersonen in das nächstgelegene Kinderheim gebracht. Bei all dem Schlimmen, das Dorothea seitdem durchgemacht hatte, war sie sich im klaren darüber, dass der Verlust von Katharina das Dasein ihrer ohnehin labilen Mutter völlig zerstört hatte. Seit vierzehn Jahren hatte Johanna mit dem Leben abgeschlossen. Sie aß und trank kaum mehr, ließ sich in jeder Hinsicht gehen und war nur selten ansprechbar. Weder an Dorothea noch an ihren wenigen sozialen Kontakten zeigte sie mehr Interesse, und so landete sie schließlich nach mehreren Aufenthalten in Krankenhäusern und psychiatrischen Einrichtungen in einem katholischen Pflegeheim am Stadtrand von Bremen. Abgesehen von Dorothea, die sie unregelmäßig besuchte, kam niemand zu ihr, was ihr auch nichts auszumachen schien.

Dorothea hatte das längst akzeptiert. Sie kam nur noch, weil sie es für ihre Pflicht hielt und um sich später keine Vorwürfe machen zu müssen. Eine normale Unterhaltung mit Johanna war kaum möglich. Wenn sie überhaupt sprach, dann murmelte sie immer nur das Gleiche vor sich hin und gab auf Fragen kaum Antworten. Körperkontakte ließ sie über sich ergehen, machte aber niemals den Versuch, selbst die Initiative zu ergreifen, ihre verbliebene Tochter zu streicheln oder gar zu umarmen. Entsprechend gering waren auch die Erwartungen, so dass das heutige „Gespräch“ bereits einem kleinen Wunder gleichkam.
„Ja, dann sehr ihr euch endlich wieder“, bestätigte Dorothea ihre Mutter.
„Und ich danke dir für alles, was du für mich getan hast, und dass du mich besucht hast, obwohl ich eine so schlechte Mutter gewesen bin.“ Johanna seufzte.
In Dorotheas Augen traten Tränen. So etwas hatte Johanna noch nie gesagt. Spontan umarmte sie die alte Frau neben sich. „Mich friert! Bring mich zurück in Heim!“, bat ihre Mutter.

Auf dem Nachhauseweg dachte Dorothea lange nach. Was hatte Johanna zu dieser ungewöhnlichen Gefühlsäußerung bewegt?
Eine Woche später erhielt sie einen Anruf vom Heim, dass ihre Mutter gerade verstorben war.
Rezension

Klappentext

Kriminalroman von Rolf Rodin (Pseudonym von Walter Kiefl)

Die 26jährige medizinisch-technische Assistentin Katharina Weidner wird von drei Jugendlichen ermordet. Damit bricht für Dorothea die Welt zusammen, denn sie muss nicht nur den Tod ihrer über alles geliebten älteren Schwester verkraften, sondern auch, dass ihre Mutter nach dem schrecklichen Ereignis nicht mehr in der Lage ist, sich um ihre verbliebene Tochter zu kümmern.
So kommt Dorothea in ein Heim, wo das sensible Mädchen eine harte Zeit verbringt und nach Selbsttötungsversuchen schließlich in der Psychiatrie landet. Dort begreift sie, dass sie sich anpassen und ihre heftigen Rachebedürfnisse gegen die Täter verbergen muss, um entlassen zu werden.
Aufgrund ihrer ansprechenden Erscheinung kann sie sich danach ihren Lebensunterhalt als Fotomodell und Prostituierte verdienen. Nachdem sie im Rotlichtmilieu inneren Halt gefunden und ein ansehnliches Vermögen erworben hat, beschließt sie, ihrem lange aufgestauten Hass gegen die Mörder ihrer Schwester endlich Taten folgen zu lassen.
Obwohl die Verbrecher ihre Namen geändert haben und nun weit verstreut leben, spürt sie diese auf, um sie – 28 Jahre später – für das Katharina, ihrer Mutter und ihr zugefügte Leid büßen zu lassen. Doch dann wird aus der Jägerin eine Gejagte.

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